ctp 4.0 Gespräch mit Dommo

Gespräch mit Dommo

Als ich Dommo das neunte Mal treffe, bleiben wir für 1 Stunde allein. Dommo spricht angeregt über die Totenfeier, die das Dorf in dieser Zeit für den Schmied vorbereitet, der vor kurzem gestorben ist. Plötzlich wird er unruhig und meint, die Ziegen seien in die Gärten eingedrungen. Er springt auf und geht schauen. Dann kommt er zurück und sagt, dass er sich getäuscht habe. Unvermittelt fragt er mich: „Warum kommen Sie hierher, um eine Stunde zu sprechen? Dann gehen Sie nach Sanga zurück und kommen wieder, um nochmals eine Stunde zu sprechen.“

Ich: „Wir sind von weither gereist, um die Dogon kennenzulernen. Wir wollen mit den Leuten reden, um zu verstehen, wie sie leben und denken und fühlen.“

Dommo: „Das kostet viel Geld. Warum tun Sie das?

Ich: „In unserem Land sind wir Ärzte und behandeln Menschen, die seelisch krank sind. Wir haben gelernt zu verstehen, was die Menschen bei uns unglücklich macht, wenn sie auch glücklich leben könnten. Wir sind zu den Dogon gekommen, um zu sehen, wie es hier ist.“

Dommo: „Ich verstehe; Sie kommen zu uns und sehen, dass alle glücklich und zufrieden sind. Dann gehen Sie wieder nach Hause und erzählen es dort. Aber warum machen Sie das: einfach so zum Vergnügen?“

Ich: „Zum Teil aus Freude, aber nicht nur deshalb.“

Dommo: „Sie tun das, um mehr zu wissen als die anderen, die in Ihrem Land leben?“

Ich: „Nicht, um mehr zu wissen als andere. Vielleicht werden wir die Menschen ganz allgemein besser verstehen als bisher.“

Dommo: „Bei uns ist es auch so. Man geht in die Fremde und lernt vieles kennen, was es hier nicht gibt. Man muss schlau sein im Leben. Weshalb aber kommen Sie zu uns, wo es nichts gibt? Warum gehen Sie nicht in die großen Städte? Dort gibt es Fabriken, Autos, Schulen, Kinos.“

Ich: „Wir sind zu den Dogon gekommen, weil wir wissen möchten, was in ihrer Seele vorgeht, wenn sie traurig oder fröhlich sind, wenn sie es im Leben schwer haben oder wenn es Ihnen gut geht.“

Dommo: „Sie wollen also wissen, wie die Dogonseele beschaffen ist. Mit dem werden sie nichts verdienen. Das kostet Sie nur Geld.“

Ich: „Sie haben recht. Damit verdienen wir nichts.“

Domo: „Voilà… Was Sie und Ihre Freunde hier tun, ist dasselbe, was wir tun, wenn wir bei der Totenfeier mit unseren Gewehren in die Luft schießen. Damit verdient man auch nichts. Das Pulver kostet viel Geld. Sie verstehen das und wissen, dass man einfach so in die Luft schießt, für nichts. Man tut es für die Seele. Auch aus Freude, gewiss, aber nicht nur deshalb. Es hat einen tieferen Sinn.“

So verstand Dommo unsere Absicht.

Aus: „Die Weissen denken zuviel“, Parin, Parin-Matthèy, Morgenthaler, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg, 2009, S. 112-113.